Bericht
über die Abschiedsfeier S.A.C. Section Rossberg vom 7. Oktober 1928
bei Frau Kryenbühl auf Wildspitz.
«Das Alte stürzt
Es ändern sich die Zeiten
Und neues Grün
Erblüht aus den Ruinen.»
Dieser Spruch mit seinen inhaltsschweren Gedanken fuhr mir heute unwillkürlich durch den Sinn, als ich mich zum Niederschreiben dieses Berichts hinsetzte.
Das Alte stürzt: Das Verhältnis der gastfreundlichen Familie Kryenbühl zu unserm Rossberg, das gleich einer zähen Wettertanne jahrzehnte- lang bestanden, hat sich nun gelöst. Der Baum ist gefallen. – Die Sektion Rossberg hat am letzten Sonntag den 7. Oktober 1928 zum letztenmal unter seiner schirmenden Krone der Fröhlichkeit gehuldigt, um damit für immer Abschied von ihm zu nehmen.
Trüb und regnerisch begann der Tag. Schwere Wolken verdeckten den blauen Himmel und wallende Nebel schlichen den Berghängen nach. Nichtsdestoweniger bekleideten sich 90 Rossberglerinnen & Rossbergler mit der Bergmontur und pirschten sich nach altem Brauch in verschiedenen kleinen Gruppen von allen Seiten her unverdrossen zu Fuss, per Seilbahn und auch im Auto an den Lieblingsberg heran. Bald nach 9 Uhr erschollen die ersten Jodler im Alpli und gaben dem dortigen Wirt das Zeichen, dass es an der Zeit wäre, seine bereitgehaltenen «appetitlichen Gnagi» etwas abzubürsten, was aber leider unterblieb. Nach einem Schluck guten Apfelmostes klomm der Berichterstatter mit seinem Bruder pustend gegen das «Leiterli» hinauf.- Die Zeiten ändern nicht nur sich sondern auch uns, dachte ich, als hinter dem morschen Lattenhag ein anderes Brüderpaar auftauchte, alte Gipfelstürmer, von welchem nun der eine seinen wohlgepflegten Körper Schritt um Schritt aufwärts schob, stets befürchtend, die ausgedachte Festrede zu verschwitzen.
Um 12 Uhr war der Gipfel erreicht. Von allen Seiten kamen sie nun heran, die fröhlichen Klübler, und strebten dem einsamen und verwetterten Gasthaus zu, zu dessen Abnützung auch sie wesentlich beigetragen haben. Die 76 jährige Mutter Kryenbühl unterstützt von respektabler Nachkommenschaft regte dort zum letztenmal ihre geschäftigen Hände, um ihren lieben Rossberglern einen kräftigen und schmackhaften Jmbiss vorsetzen zu können. Teller klappern; Pfropfen knallen; Gläser klirren, und es erschallen von allen Seiten fröhliche Zurufe zu herzlichen Begrüssungen zwischen alten und jungen Bergkameraden. Erinnerungen werden ausgetauscht und neue Bekanntschaften gemacht.
Jnzwischen war auch unser verehrter Präsident angerückt mit einer mächtigen Handorgel auf dem Buckel, welche er als galanter Mann, unserer Festmusikantin, Frl. Jten, vom Alpli auf dem Wildspitz getragen hatte. Bald ertönten wiegende Walzerklänge und gleich darauf wirbelten auch schon die ersten Tanzbeine über den «tannenen Parkettboden.» Hussassa! Hopsassa!
Nachdem dann Mutter Kryenbühl die knurrenden Bergsteigermagen alle befriedigt hatte, erschien Sie in Begleitung Jhrer Familienangehörigen zur Abschiedsfeier. Herr Präsident Dr. W. Jten begrüsste Sie in unserer Mitte und erteilte hierauf Herrn Dr. Gustav Bossard das Wort.
Jn einer wohldurchdachten, flotten Festrede warf dieser vorerst einen Rückblick auf die Beziehungen zwischen dem Rossberg und unserer Sektion, welche sich sowohl auf den Namen als auch auf unsere Klubtouren und Zusammenkünfte erstreckten. Er wies hin auf die Schönheit unserer Alpenwelt und unseres Vaterlandes, wie wir sie vom Wildspitz aus in wunderbarem Rundblick schauen können. Wir wie kein zweites Volk der Erde haben Grund, unsere angestammte Heimat zu lieben. Wir sollten sie nicht verlassen nach dem Spruch: «Ubi bene, ubi patria; um sie einem internationalen Gesindel zu überliefern. Jeder Alpinist muss ein Jdealist sein, der Ehrfurcht vor der Erhabenheit der Bergwelt empfinden kann. Verdammt sei ein Bergsport, der sich in neuerer Zeit breit macht und in wildem Vandalismus mit seiner Zerstörungswut selbst vor Gedenktafeln für Abgestürzte nicht Halt macht.
Hierauf ging der Redner über zu den Beziehungen unserer Sektion zur Familie Kryenbühl und zum Hotel Wildspitz. Letzteres im Jahre 1888 von einem Herrn Abegg erbaut , wurde anno 1892 von der jetzigen Besitzerin übernommen. 36 Jahre lang hat die wackere Frau Kryenbühl hier gewirtschaftet und durch Gastfreundschaft und ausgezeichnete Bewirtung sich die Liebe und Anhänglichkeit der Rossbergbesteiger und ganz besonders der Mitglieder unserer Sektion zu erhalten gewusst. Herr Dr. Bossard dankt dafür der greisen Wirtin im Namen aller und wünscht Jahr noch einen sonnigen Lebensabend auf dem Heimwesen Ihres Sohnes im schönen «Lutzi» im Sattel.
Rauschender Beifall folgte den packenden Worten. Zur Bekräftigung derselben überreichte Herr Präsident Dr.W. Jten der Mutter Kryenbühl eine zinnerne Kaffeekanne mit Widmung, als Andenken und aus Dankbarkeit mit dem Wunsche, Sie möge dieselbe noch recht lange benützen.
Zu den Klängen des Bernermarsches trippelten nun Frau Kryenbühl in Begleitung unseres Kassier Herr Wiesendanger und der lange Hartmann mit der hocherhobenen Zinnkanne eine Art Polonaise durch den Saal.
Hierauf dankte Frau Kantonsrat Rosa Etter, eine Tochter der Gefeierten, im Namen Jhrer Mutter, die vor Rührung kaum sprechen konnte, für das wohlverdiente Geschenk.
Der Himmel hatte sich inzwischen entwölkt und nach dem schwarzen Kaffee begab sich ein Teil der Festteilnehmer auf die Hotelterrasse oder auf den Piz, um die Aussicht zu geniessen. Die übrigen verbliebe bei fröhlichem Tanz und Becherklang noch ein Stündlein beisammen.
Nach und nach leerten sich die Tische. Jasser klopften noch und der Männerchor «Rauhrauh» gab seine improvisierten Produktionen. Das Häuflein Rossbergler verminderte sich gegen 5 Uhr merklich. Nach einigen photographischen Aufnahmen, zu welchen sich ein Damenliebhaber wegen seiner Ehehälfte maskieren musste, war es nur noch ein halbes Dutzend mann stark. Diese letzten nahmen erst bei Anbruch der Dunkelheit Abschied von der gastlichen Wirtin und tollten Richtung Steinerberg dem Tale zu.
Das Folgende spielte sich ab, wie anno dazumal, da wir den Trau-Altar nur vom Hörensagen kannten. Zu Hause aber wird der eine oder andere wieder an die veränderten Zeiten gemahnt worden sein.
So, nun zum Schluss: Und neues Grün erblüht aus den Ruinen, d.h. ein neues Verhältnis zwischen uns und dem Hotel Wildspitz. Es kann uns aber nicht gleichgültig sein, was für Grün. Sollte auf dem höchsten Punkt unseres Kantons an Stelle einer schirmenden Wettertanne ein unordentliches Dorngestrüppe, eine stachelige Distel oder gar ein wassergeschwängertes Moos erblühen, so wäre das sehr bedauerlich und würde uns zwingen, bei unseren Rossbergtouren inskünftig einen Rucksack voll Fressalien mitzuschleppen.
Wir wollen jedoch das beste hoffen und unser möglichstes dazu beitragen, dass ein Verhältnis zwischen der Sektion Rossberg und dem neuen Rossbergwirt Herrn Bornhauser sich ebenfalls recht herzlich gestalte sodann unsere Zusammenkünfte auf Rossbergs Höhen auch fürderhin zu einem Tag der Freude und fröhlichem Beisammensein werden.
Zug den 8. Oktober 1928 Der Berichterstatter: Gez. H. Bossard.